interview

Christiane F. vom Bahnhof Zoo wohnt in Neukölln. Sie hat jetzt einen Hund, der Junkies am Schweiß erkennt
Was hat eine heilige indische Kuh mit dem Drogenmilieu am Bahnhof Zoo zu tun?
Im Prinzip nichts. Nur daß sie wie andere heilige Kühe auch nach etwas Freßbarem suchte.
Und ihre Schnauze in das Buch von Christiane F. steckte: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Der Kuh war es egal, daß sie einen Bestseller zwischen den Zähnen hatte. Sie fraß ihn. Die Geschichte hat Panagiotis erlebt, der Ex-Freund von Christiane F.
Noch heute muß Christiane F. jedesmal lachen, wenn sie an die Anekdote denkt. Ein rauhes, etwas dumpfes Lachen. Sie sitzt in einem Cafe in Kreuzberg. Es ist vormittags, und das Cafe ist voll. An einem Tisch gibt eine Frau ihrem Kind die Flasche. An der Theke lehnen Männer, die zur besseren Verdauung oder einfach so Schnaps trinken. Ein Gemisch liegt in der Luft, aus Musik, Stimmen und dem Geräusch einer Espressomaschine, die ununterbrochen Milchhäubchen aufschäumt.
Christiane wischt sich mit den Fingern die Lachtränen aus den Augen. Sie schüttelt den Kopf, greift nach ihrem Tabak und dreht sich erst mal eine Zigarette. "Nee, so was", sagt sie. Wobei nicht klar wird, ob sie die Anekdote mit der Kuh meint. Oder aber das, was die Kuh gefressen hat. Ein bewegtes Teenagerleben in Buchform. Ein Leben mit Drogen zwischen Kinderstrich am Bahnhof Zoo und erfolglosen Entziehungskuren, geprägt vom Lebensgefühl der 70er. Das Buch, das zwei Sternreporter aus Tonbandaufnahmen mit Christiane 1978 zusammenstellten, wurde über dreimillionenmal verkauft. Eine Million Mark hat Christiane bekommen. Doch manchmal wünscht sie, daß es nie erschienen wäre. Denn Geld ist verführerisch. "Ich hatte immer was übrig für einen Druck." Von ihren Buch-Tantiemen kaufte sie sich eine Eigentumswohnung in Neukölln. Aber dort fühlt sie sich nicht mehr wohl. Sie ist davon überzeugt, daß die Mieter mit dem Presserummel nicht klarkommen, sie nicht in ihrem Haus haben wollen. Deshalb lebt Christiane jetzt in einer Ein-Zimmer-Parterrewohnung im gleichen Bezirk. Ein Provisorium. In der Küche steht ihr Fahrrad. Das Bad ist so schmal, daß sie die Wände berührt, wenn sie sich umzieht. Das Wohn- und Schlafzimmer geht zur Straße. Wer sich von außen die Nase an der Scheibe plattdrückt, kann das Hochbett sehen und die Eisenschränke, die an Umkleidekabinen im Hallenbad erinnern. Auch das Pferd auf dem Wandteppich kann man erkennen. Weil sie nicht im Glashaus leben will, zieht sich Christiane im Flur um und schminkt sich auch dort. Doch die Kinder aus ihrem Kiez haben sie entdeckt. Sie klopfen an ihr Fenster. Jugendliche Straßengangs laufen ihr hinterher und rufen in Sprechchören: "Christiane, Christiane." Manchmal klingeln sie auch und wollen wissen, ob alles stimmt, was in dem Buch steht. Das "Theater", das um ihre Person gemacht wird wie um eine "Hollywood-Schauspielerin" nervt Christiane. Heute, fast zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buches, ist ihr Leben immer noch vom Rauschgift bestimmt. "Vielleicht wäre ohne das Buch alles anders gekommen", denkt sie. "Wenn du kein Privatleben hast, greifst du noch schneller zur Droge." Ob sie mit den Zeitungen gesprochen hat oder nicht, sie schreiben trotzdem, was sie wollen. Das ist ihre Erfahrung. Wenn sie das Fernsehen reinläßt, dann wird ihre Unterwäsche gefilmt, die auf dem Teppich liegt, und das Bettzeug auf der Erde. "Als ob andere Leute nicht auch auf einer Matratze am Boden schlafen." Christiane wurde für die Öffentlichkeit zur Drogenexpertin. Immer wieder wurde sie zu Talkshows eingeladen. Radio Bremen drehte einen Dokumentarstreifen über sie, der Spiegel einen Hundert-Minuten-Film. Und dann gibt es noch den Kultfilm zum Buch. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", 1981 gedreht. Oft hätten die Medien sie auf dem falschen Bein erwischt. Während des Spiegel-Films habe sie eigentlich nichts zu sagen gehabt, war nur mit sich beschäftigt. "Ich hatte keinen Biß." Die Jugendzeitschrift Bravo machte einmal in ihrer Hamburger Wohngemeinschaft eine Reportage. "Da lagen wir alle noch im Bett", erinnert sie sich. Der Bravo gefiel das offensichtlich. Die Fotografen warfen noch ein paar Bauarbeiterjacken auf die Matratze und sagten, "gut, bleibt so". Für Christiane fährt die Presse immer wieder die gleiche Masche. Sie hat die Chance bekommen, anständig zu sein, und was macht sie? "Ich trete allen in den Arsch." Christiane hat tatsächlich ich gesagt. Sie sitzt da und hat es nicht bemerkt. Manchmal, so scheint es, verschwimmen die Grenzen zwischen der Medien-Christiane und der wirklichen Christiane. Und keiner weiß genau, ob sie selbst oder die anderen von ihr enttäuscht sind. Mit ihrer Drogensucht verdiente sie mehr Geld als alle anderen Junkies aus der Zoo-Clique. Mit ihrer Sucht machte sie Karriere. Darauf stürzte sich die Öffentlichkeit.
1985 lernte sie die Verlegerin vom Diogenes-Verlag Anna Keel kennen. Ihre Kinder verschlangen damals nur ein Buch. "Meins", sagt Christiane. Anna Keel lud sie deshalb nach Zürich ein. Dort lernte sie Bekannte der Familie wie Fellini, Loriot und Dürrenmatt kennen.
In 1985 she met Anna Keel, Fellini, Loriot and Durrenmatt. Einige Zeit später wurde Christiane rückfällig. "In allen Zeitungen stand, ich sei zu proletarisch für solche intelligenten Leute. Nur weil ich gesagt habe, daß Dürrenmatt mich langweilt." Dafür gefiel ihr Fellinis väterliche Art. Und vor allem Loriot. Der arbeitete damals an einem Buch über Möpse. "Ich fand es toll", schwärmt Christiane, "daß ich mich mit ihm über ein weltliches Thema wie Hundeerziehung unterhalten konnte."
After some time Christiane fall back to drugs. The papers said she was not intelligent enough to hang out with those people. She liked Fellini and Loriot. She could talk to them about world issues. Christiane hat die Nase voll davon, mit 33 Jahren immer noch das Junkie-Image zu haben. Die Drogen haben ihr Leben bestimmt, seit sie 13 Jahre alt war. Damals nahm sie zum ersten Mal Heroin. Aus Neugier und weil sie in ihrer Clique akzeptiert werden wollte. Christiane wohnte mit ihren Eltern in der Gropiusstadt. Sie war ein Schlüsselkind, viel sich selbst überlassen. "Schwänzen, cool sein, am Zoo rumhängen, Leute taxieren, ob sie Geld dabeihaben." Das war ihr Teenie-Alltag. Mit 15 Jahren arbeitete sie zum ersten Mal auf dem Babystrich an der Kurfürstenstraße, um sich Geld für einen Schuß zu besorgen. "Aber der Strich war auch eine Freizeitbeschäftigung", sagt sie heute. Am Anfang sei alles Spiel gewesen, dann kamen die "Leere im Kopf" und das "körperliche Chaos." Immer wieder versuchte sie vom Heroin loszukommen. Ihr Vater wollte sie vom Rauschgift trennen, indem er sie tagelang in der Wohnung einschloß. Ihre Mutter schickte die 16jährige aufs Dorf zur Großmutter nach Norddeutschland. Dort ging sie wieder regelmäßig zur Schule, machte ihren Hauptschulabschluß und begann eine Buchhändlerlehre. rnte Alexander Hacke von der Rockband "Einstürzende Neubauten" kennen. Gemeinsam lebten sie in Hamburg. Christiane nahm eine Platte auf, sang Punk-Songs rückwärts und verulkte ihre Drogensucht: "Ich bin so süchtig." Wieder vermarktete sie das Junkie-Image. Einige Zeit später wurde sie rückfällig. Ihr Freund trennte sich von ihr. "Das", sagt sie, "war die schlimmste Zeit meines Lebens." Ein paar Wochen lang stand sie wieder an der Kurfürstenstraße. "Ich habe mir gedacht, wenn du wieder anfängst, dann richtig." Als sie das erzählt, sitzt sie in sich versunken da. Ungefähr 30 Sekunden lang. Dann kommt eine kalbsgroße Dogge an den Kneipentisch. Sie gehört zu einem Mann mit Rucksack, der in der Kneipe nach irgend jemandem sucht, niemanden findet und eine Zigarette schnorrt. "Der taucht auch immer wieder auf", sagt Christiane. Und überlegt angestrengt, woher sie ihn kennt. Es fällt ihr aber nicht ein. Dafür erzählt sie, wie sie in den Knast kam. Wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. "86 war das oder warte mal, nee 86." Sie konnte damals zwischen Gefängnis und Therapie wählen. Christiane entschied sich für die Frauenhaftanstalt Plötzensee. "Das war für mich irgendwie bequemer", sagt sie. "Ich wollte keine Gehirnwäsche." Als sie aus dem Gefängnis herauskam, reiste sie nach Griechenland. Dort lernte sie Panagiotis kennen, mit dem sie sechs Jahre lang lebte. Als die Beziehung zerbrach, kehrte sie nach Berlin zurück. Nach dem Auslandsaufenthalt fühlte sie sich allein. Ihre Freunde waren fast alle verschwunden. "Meine Nerven lagen blank", sagt sie. Der Rückfall war programmiert. Christiane hält es jetzt nicht mehr im Cafe. Sie wird unruhig, möchte woandershin. Dann läuft sie mit Chico, ihrem kleinen, struppigen Hund, durch Kreuzberg. Der läuft wie ein alter Mann mit Prostata-Beschwerden. Chico schnüffelt mal rechts, mal links. Christiane schimpft mit ihm wie mit einem Kind. Sie läuft kerzengerade, im Mund eine Zigarette. Freundlich ruft sie einem anderen Hundebesitzer einen Gruß zu. Sie kann sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. "In Griechenland hatte ich immer Heimweh nach'em Kiez", sagt sie. Heute ist Christiane "substituiert". Seit einem halben Jahr gehört sie zu den rund 1 300 Berliner Drogenabhängigen, die Polamidon, eine Abwandlung von Methadon, bekommen. Täglich holt sie sich ihre Dosis vom Arzt. Einmal in der Woche muß sie eine Urinprobe abgeben. Damit die Ärzte überprüfen können, ob sie keine anderen Rauschmittel nimmt. Denn Polamidon kann mit anderen Drogen zusammen eine tödliche Wirkung haben. "Jahrelang habe ich geglaubt, ich würde es allein schaffen", sagt sie. Inzwischen denkt sie anders. "Man geht ja auch zum Arzt, wenn man einen Abszeß hat und versucht nicht, sich den selbst auszudrücken." Körperlich, sagt sie, gehe es ihr gut. Manchmal wacht sie jedoch schweißgebadet auf und hat Alpträume. Immer wiederholt sich die gleiche Szene, sie will sich einen Schuß setzen, trifft aber keine Vene. Die morgendliche Angst, nicht an Drogen zu kommen, ist jetzt einem anderen Problem gewichen. Der sinnvollen Freizeitgestaltung. Zweimal in der Woche trifft sie sich am Bahnhof Zoo mit Freunden. Mit ihren Sommersprossen und schwarz-aubergine-farbigen Zöpfen steht sie in der Bahnhofshalle. Irgendwie sieht sie nicht so aus wie eine ehemalige Prostituierte und Fixerin, sondern wie Pippi Langstrumpf. Pippi, die viele Abenteuer erlebt hat und sich nicht unterkriegen läßt. So eine ist Christiane auch. Sie ist stark, sie kann sich wehren. Zwei Zähne hat sie bei einer Schlägerei verloren. Sie zeigt ihre Zahnlücke mit dem Charme einer Berliner Göre. "Mensch, den kenn ich", sagt Christiane plötzlich und nickt einem schnauzbärtigen, dicken Mann zu. Der steht mit zwei anderen vor einem Getränkestand in der Bahnhofshalle. "Das war ein ehemaliger Freier von mir." Daß der sie nach 15 Jahren noch erkennt, findet sie lustig. "Der wollte mich nie nageln", sagt sie. Dann muß sie grinsen und entschuldigt sich für ihre Sprache. Am Ausgang zur Jebenstraße ist immer noch der "Schwulenstrich", stellt sie fest. Ein älterer Mann und ein junger plaudern zwanglos miteinander. "Da läuft gerade ein Vermittlungsgespräch. Was will so ein Alter von einem jungen Mann?" fragt Christiane schulterzuckend. Mit ihrer Schuhspitze bohrt sie im Sand. Ein Spritzenkopf kommt zum Vorschein. "Sieh mal einer an", sagt sie so fröhlich, als hätte sie einen Glückspfennig gefunden. Auf der anderen Zoo-Seite, bei McDonald's, laufen ein paar Männer herum, Hände in den Hosentaschen. Dort könne man Dope bekommen, erklärt Christiane, das 10-Gramm-Päckchen Heroin für 25 bis 30 Mark. Unten am Bahnhofskiosk drückt sich ein älteres Pärchen mit einem Hund herum. Die verkaufen bestimmt Pillen, da ist sie sich sicher. Die Jugendlichen, die am Breitscheidplatz stehen, sehen auch nicht so aus, als warten sie auf die U-Bahn. "Kleindealer sind das", sagt sie, "was sonst?" Neulich habe ihr einer Heroin angeboten. Der war bei Christiane aber an der falschen Adresse. "Ich bin clean", sagt sie. Dann holt sie sich ein Fläschchen Apfelkorn für unterwegs. "Der wärmt so schön, 'ne Chico." Chico sieht aus, als könne er das verstehen. Denn Chico hat schon viele Besitzer gehabt. Christiane hat beobachtet, wie Chico schwanzwedelnd auf Leute zuläuft, die Polamidon nehmen. "Wahrscheinlich riecht er das am Schweiß", sagt sie. "Er ist eben ein Junkie-Hund." +++

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